Für mich bedeutete bis vor einiger Zeit, sich verletzlich zu zeigen, all seine Schwächen zuzugeben, allen von seinen Fehlern, Defiziten, Probleme, Ängsten, ach einfach allem, was einem unangenehm ist und was man doch selber eigentlich gar nicht wissen will, zu erzählen. Echt jetzt? Und das soll mutig sein? Mal abgesehen davon, dass ich gerade alle Negativ Klischees bedient habe, die es an Bewertungen so gibt, um sich selber so richtig nieder zu machen, ist meine Reise in die Verletzlichkeit wirklich lesenswert.

Verletzlichkeit was genau ist das eigentlich 

Ich hörte so richtig von Verletzlichkeit und sich verletzlich zeigen, von Scham und Schuld, die damit in Verbindung stehen, im Grunde das erste Mal in meiner Ausbildung zur Gewaltfreien Kommunikation. Unsere Dozentin widmete der Scham und der Schuld und der Möglichkeit diese zu wandeln einem ganzen Modul. Wir hörten Definitionen, Geschichten und machten einige Übungen. Die Amerikanische Forscherin Brenè Brown und ihre Forschungen, Bücher und Seminare, spielten hier eine sehr große Rolle. (Ihr Buch „Verletzlichkeit macht stark „habe ich gerade verschlungen und es steht bereit, um immer wieder gelesen zu werden.)  Nach ihr ist Verletzlichkeit folgend definiert: „Verletzlichkeit beschreibt die Bereitschaft, sich einem emotionalen Risiko auszusetzen. Verletzlichkeit zuzulassen bedeutet, sich für eine Sache die es wert ist, zu engagieren, sich rückhaltlos einzusetzen.“ (S. 11-12) Wichtig ist hir folgend die Definition Scham: „Scham ist das äußerst schmerzhafte Gefühl beziehungsweise die äußerst schmerzhafte Erfahrung zu glauben, dass wir fehlerhaft sind und deshalb keine Liebe und Zugehörigkeit verdienen.“ (S. 89)  Für Brenè Brown ist Schamresilienz, die Basis um Verletzlichkeit zuzulassen: „Die Fähigkeit authentisch zu bleiben, wenn wir Scham empfinden, die Erfahrung durchzustehen, ohne unsere Werte zu opfern, und aus der Erfahrung von Scham mit mehr Mut, Mitgefühl und Verbundenheit hervorzugehen.“ (S. 95)

Was genau haben Scham und Angst jetzt miteinander zu tun?

Wir machten in diesem Modul der GFK auch eine Partnerübung, in der wir uns ein Ereignis, für das wir uns schämen, dem Anderen erzählen sollten. Dies ging mir echt an die Substanz. Puh mir wurde so heiss, meine Handinnenflächen schwitzen, mein Atem ging flacher, ich krümmte meinen Brustkorb und machte mich klein. Übrigens alles Symptome, die ich auch bei meinen Ängsten und Panikattacken kenne. Diese Querverbindungen habe ich zwar erst vor zwei Tagen geschlossen, doch finde ich sie sehr eindrücklich. Ich erzählte also meine Geschichte und ich erfuhr von meiner Partnerin Mitgefühl, Wertschätzung und Interesse. Spannend oder?  Ich schämte mich so sehr und sie spiegelte mir genau das Gegenteil, was ich als Reaktion erwartet hatte. Und andersherum war es ähnlich, ihre Geschichte berührte mich sehr, doch rief sie bei mir überhaupt keine Scham hervor. Nach Ende des Moduls dachte ich, das mit der Scham hätte ich verstanden und geklärt. Naja ganz ehrlich, im Grunde überhaupt nicht. Ich hatte es nicht zu Ende gedacht und auch nicht wirklich in mein Leben transformiert. Ich hatte es beim Anderen gelassen, denn Verletzlichkeit zu zeigen fand ich großartig – beim Anderen. Denn, wenn ich das mit der Scham und dem sich verletzlich zeigen hinter mir hätte, warum erzähle ich so selten was in mir vorgeht? Was mich gerade wirklich beschäftigt und bewegt? Warum wissen so wenige, dass ich eine Angst und Panikstörung habe? Warum erzähle ich nie, wenn ich mich völlig überfordert fühle? Warum fühle ich mich schuldig, wenn es mir mal schlecht geht? Warum traue ich mich nicht wirklich und wahrhaftig authentisch ich zu sein? Wovor habe ich Angst? Aha und das ist sie schon wieder die Angst! Merkt ihr was? Ich ja, so langsam, wirklich nur langsam, doch das ist gut so. Sonst könnte ich all das, was gerade über mir hereinbricht, gar nicht verpacken. Es gab schon viele Aha Erlebnisse, Klick Momente und Erkenntnisse gerade in den letzten Jahren. Und das jetzt hier, gehört sowas von dazu. Ich fühle als würde sich etwas schließen im Sinne von verbinden. Als würde in mir das Chaos beginnen sich zu sortieren, langsam und klar, damit ich es mitbekomme und leben kann. Brenè Brown zitiert in ihrem Buch eine Rede von Theodor Roosevelt in der heisst es: „Es ist nicht der Kritiker der zählt……Die Anerkennung gehört dem, der wirklich in der Arena ist…..“  Thats it oder? Sich verletzlich zeigen heisst mutig sein. Sich immer wieder zeigen mit seinen Themen, es zu wagen sich zu öffnen mit dem Wissen verletzt zu werden, kritisiert zu werden, vielleicht nicht gemocht zu werden. Und dann hat auch Angst keinen Boden mehr, in dem sie sich einnisten kann.

Ich beginne mein Verstehen zu fühlen

Brenè Brown hat mich tief berührt mit ihren Worten und Erkenntnissen aus ihrer Forschung, aus ihren Erzählungen von sich selbst und ihrer Familie. So sehr, dass ich jetzt hier sitze und Tränen in den Augen habe, weil ich beginne zu verstehen. Ich beginne zu verstehen, warum ich trotz meiner tollen Kindheit, meiner wundervollen Eltern, die bestimmt immer das Beste wollten und die für uns immer das getan haben, was ihnen in diesem Moment möglich war, eine Angst und Panikstörung in mein Leben gerufen habe. Mir hat es im Grunde an nichts gemangelt, wir hatten immer Essen, wir hatten ein Haus mit Garten, wir fuhren in den Urlaub sogar mehrmals im Jahr. Wir haben Meerschweinchen, Wellensittiche und einen Hund gehabt und meine Schwester und ich bekamen mit 9 Jahren ein eigenes Pony. Sehr geil oder? Und doch gibt es da dieses ängstliche Mädchen, das schon ganz früh Angst vor dem Alleinsein, vor der Dunkelheit, dem Wald hatte, das mit dem System überfordert war und schon in der Grundschule Kopfschmerzen hatte. Diese Kopfschmerzen steigerten sich ab dem Gymnasium und waren von da an täglich da und wurden bis zum Ende der Ausbildung noch mit Migräne verstärkte. Dieses Mädchen, das in meinen Erinnerungen oft nicht so sein durfte wie es war, weil es kein Gemüse essen wollte oder nicht die Kieseltreppe laufen wollte oder konnte. Objektiv war alles gut, doch in mir spüre ich eine Trauer und tiefe Verletzung. In den Jahren mit Gesprächs-Therapie und eigener Suche nach dem Warum für meine Angst- und Panikstörung, habe ich mich auch meiner Kindheit, meinen Eltern, der Schule usw. gewidmet. Die Schuldfrage hängt doch immer im Raum, hat jemand etwas falsch gemacht, kann ich jemanden die Schuld geben? Doch das ist Bullshit wie ich zum Glück heute weiss, niemand ist verantwortlich, vor allem ich selber trage keine Schuld. Ich bin gut so wie ich bin, war ich schon immer und bin ich vor allem heute auch. Ich sage eher, weil alles so war wie es war, bin ich heute die die ich bin. Und was für ein Privileg liebe Leute, ich kann wählen, wer ich sein möchte und ich habe verstanden, das ich die Schöpferin meines Lebens bin. Ich kann mir also die Geschichte immer und immer wieder erzählen und in der Schleife von Angst und Panik hängen bleiben oder ich kann erkennen, das umso größer mein Schatten ist, um so größer das Licht ist, welches diesen Schatten hervorruft.  Dies zu erkennen ist so so heilsam. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass ich als ich klein war, wohl aufgehört habe mich verletzlich zu zeigen und einfach immer immer das fröhliche, starke, mutige Mädchen war, das sich so genial angepasst hat, damit sie allen gefällt, damit sie gemocht wird. Da war kein Raum für Verletzlichkeit! Doch ohne Verletzlichkeit fressen Scham und Schuld dich auf, du rückst ab von dir selbst, du verleugnest dich selber, du begibst dich auf Wege, die nicht deine eigenen authentischen sind. Zumindest war und ist es bei mir so.Vieles wird mir so klar und in mir tobt ein Sturm der Freude über das Erkennen, über die Möglichkeiten und das Potential für Heilung, die damit einhergeht und gleichzeitig stellt sich mir die Frage, wie gehe ich damit um. Ich begreife, dass viele meiner Verhaltensweisen als Kind und Jugendliche darauf zurück zu führen sind, dass ich mich geschämt habe. Deshalb habe ich gelogen, deshalb habe ich Geschichten erfunden oder Ereignisse ausgeschmückt. Ich wollte gemocht werden, angenommen, dazugehören und vor allem auch etwas, jemandBbesonderes sein. Ich wollte immer gewinnen und wenn ich verlor, hatte ich immer eine Erklärung und meistens stimmte sie nicht mal. So ein Kampf, so ein Energeiverlust und für welchen Preis?  Für den Preis, das meine Seele ab einem Punkt meines Lebens mir Hinweise schickte und als ich sie nicht erkannte oder mich nicht traute sie zu erkennen und zu leben, setzte sie solange einen drauf bis ich 20 h am Tag Angst hatte davor jetzt sofort zu sterben. Ich reduzierte mein Leben auf ein Minimum, schränkte mich ein und versuchte alles zu kontrollieren. Ich zweifelte an mir, an meinem Leben, hatte null Vertrauen in die Menschen,ins Leben, in die Welt und empfand nichts.

Die Wendung

Durch mega Fügungen und Türöffnungen, die ich mir natürlich selber kreiert habe, wie ich heute weiss, habe ich mich selber auf den Weg durch die Dunkelheit gemacht. Ich habe mich intensiv mit persönlicher Weiterentwicklung beschäftigt, habe mein Wertesystem hinterfragt und transformiert, habe eine stimmige Lebenshaltung gefunden und praktiziere fast täglich  Yoga und Meditation. Ich habe viele schmerzhafte und gleichzeitig erleichternde Entscheidungen getroffen. Es dauerte bis ich die ersten Teile/ Anteile von mir wiederfand, die ich verloren hatte und langsam, ganz langsam sich alles wieder neu zusammensetzte. Dies ist bestimmt noch ein weiter Weg, doch wie sehr freu ich mich darauf. Denn dies ist mein Leben, mein authentisches Leben in dem ich die Wahl habe, wie ich sein möchte. Ich bin nicht mehr nur das kleine Mädchen, das um jeden Preis geliebt und anerkannt werden möchte. Versteh mich nicht falsch, ich möchte so sehr geliebt werden und anerkannt und dazugehören, doch nicht mehr um den Preis meines Lebens. Und das bedeutet für mich, authentisch sein, ich sein so wie ich bin. Mich mit allem zu zeigen und mich vor allem verletzlich zu zeigen, um mutig zu sein, mich in die Arena zu begeben und vielleicht zu straucheln, zu fallen, zu scheitern und dann wieder und wieder aufzustehen, um Großes zu wagen.

Ich sage mir selber Danke: für mich, meine Seele, meine Angst und Panik, für alle Erfahrungen, für mein Leben. Ich bin so dankbar die Gewaltfreie Kommunikation in meinem Leben zu haben und ich danke meiner Dozentin aus tiefstem Herzen für ihre wundervolle Arbeit und ich danke Brenè Brown für ihre Auseinandersetzung, Forschung und ehrlich gelebte Verletzlichkeit!

 

Hast du Fragen oder Kommentare? Ich freue mich, dass du da bist!

Eure Lisa

 

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